Parforceritt durch mediale Gewalt: "Big Guns"

Parforceritt durch mediale Gewalt: "Big Guns"

von Isabella Kreim

Mit voyeuristischer Sensationslust holen wir die Bilder und Details von Katastrophen, Gewalttaten, Unfällen, Kriegen oder peinlichen Selbstentblößungen als unterhaltsamen Nervenkitzel in unser Leben.Immer hat irgendwer die Kamera draufgehalten. Aber es betrifft uns ja nicht wirklich. Es ist ja nur ein Video. Gaffen aus sicherer Distanz, und dann wieder der Lifestyle-Tipp.
Gleichzeitig wächst unsere Angst oder Hysterie, vielleicht selbst von einem Terrorangriff betroffen zu sein. Vielleicht sogar jetzt. Hier im Raum. Im Theater.
Diese schizophrene Situation hat die junge britische Autorin Nina Segal in einer aufregenden Textpartitur beschrieben. Das 2017 in London uraufgeführte Theaterstück „Big Guns“ hat das Stadttheater Ingolstadt als deutschsprachige Erstaufführung an Land gezogen.
Am Freitag war in einer Inszenierung von Mareike Mikat Premiere im Kleinen Haus.

Zwei Schauspielerinnen, Ingrid Cannonier und Sarah Horak, agieren im Outfit einer fiktiven Airline als unsere Flugbegleiterinnen auf einem Horrortrip.  Die Beiden verhalten sich gleichzeitig wie Seminarleiterinnen, die eine Präsentation mit Rollenspieleinlagen vorführen oder uns als Therapiegruppe mit Konfrontationsmethode einbeziehen. Und zum Angstabbau dürfen wir mithelfen, weiße Luftballons zum Zerplatzen zu bringen.
Die beiden hochkarätigen Darstellerinnen ziehen dabei alle Register. Sie erzählen kühl oder aufgeregt, dozieren , animieren, überbieten sich gegenseitig in der Gier nach Internetnews und reflektieren, wie wir Gewalt in der Fiktion als Unterhaltung konsumieren und dabei reale Bedrohungen verdrängen, sie spielen Geiseln oder malen sich aus, wie ihre virtuellen Bekannten aus den Videostreams und Blogs schreckliche Tode sterben – und sie suggerieren, hier im Raum sei ein Mann mit einer Waffe.

Und obwohl in dieser Arena-Raumsituation von Simone Manthey alles mitten unter uns spielt: Warum erschrecken uns die Gewaltphantasien so wenig?
Die beiden Darstellerinnen bleiben mit ihren vielen illustrativen Aktionen, ihrem perfekten Abliefern der unterschiedlichsten Präsentationsformen und ihrem eindringlichen Duktus doch irgendwie immer im Vorführmodus. Auf Distanz zum Gesagten. Und daher bleiben auch wir Zuschauer weitgehend empathiefreie Voyeure eines Theaterspiels. Auf Distanz zum Gehörten.
Nina Segals Text enthält schöne Leitmotive. Immer wieder ist die Rede davon, dass wir alle mehr Zeit gebraucht hätten. Zeit für etwas anderes, als den Leben unserer socialmediaFreunde zu folgen, Zeit zum Nachdenken, statt virtuelle Wirklichkeiten zu konsumieren. Zeit für Wichtigeres, Zeit für...
Auch von Mareike Mikats durchgepowerter Inszenierung hätte man sich gewünscht, sich für manche Passagen etwas mehr Zeit zu lassen. Zeit für den Zuschauer, die eigene Vorstellungskraft zu aktivieren, die angesprochenen Bilder im Kopf entstehen zu lassen.

Foto: Jochen Klenk

Kulturkanal am 18.11.2019
    
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