Skurrile Welt in "Der Schneesturm" im Stadttheater

Skurrile Welt in "Der Schneesturm" im Stadttheater

von Isabella Kreim

Diese Odyssee durch den russischen Winter hat einen aktuell klingenden Auslöser: eine mysteriöse Epidemie. Der Landarzt Garin muss so schnell wie möglich einen Impfstoff in ein entferntes Dorf bringen, in dem eine  Epidemie ausgebrochen ist. Als Transportmittel findet er nur einen seltsamen Kutscher, genannt Krächz, mit einem von einer Herde Minipferden gezogenen „Mobil“. Die beiden verlieren immer wieder die Orientierung auf dem tief verschneiten Weg, sie bleiben stecken, die Schlittenkuve bricht.Sie suchen Zuflucht bei einem Müllerpaar, geraten an bewaffnete Drogendesigner, Wölfe jagen den Pferdchen Angst ein, ein Riese liegt im Weg....

Das Motiv der Schlittenfahrt durch den verschneiten russischen Winter, der Schneesturm und die Herr-Knecht-Konstellation erinnern an russische Erzählungen aus dem 19. Jahrhundert. Vladimir Sorokin aber baut viele skurrile, phantastische Elemente in diese Irrfahrt ein.
Mareike Mikat und ihr Regieteam zitieren gezielt einige nostalgische Elemente des literarischen Russlandbildes, etwa in den folkoloristischen Kostümen. Ein Video zeigt zudem immer wieder einen verschneiten Wald, es schneit dicke Flocken aus dem Bühnenhimmel, Nebel wallt. Oder es wird vom Ensemble mit weißen Styropor-Teilchen geworfen. Schnee von Film-Realismus bis Theaterulk. Dies sind aber nur Versatzstücke einer betont heterogenen Ästhetik, die sich raumzeitlich nicht verorten lässt. Immer wieder wird der Blick frei auf den  Bühnenhintergrund, in dem das Ensemble mit Geräuschen und Stimme den von dem Musiker Enik kreierten Schneesturm-Sound imitiert.

Diese „Schneesturm“ - Inszenierung  ist mit ihren unterschiedlichen Bildebenen auch ein virtuoses Spiel mit illusionistischen und epischen Bühnenmitteln, mit ironischer Distanz und darstellerischer Direktheit.

Man kann an diesem Abend lustvoll eintauchen in die Kuriositäten und Absurditäten dieser mission impossible. Und sich fragen: Erzählt diese Aufführung des „Schneesturm“ auch davon, wie der ziemlich aussichtslose Kampf gegen die Naturgewalt den Blick auf die Welt verändert, sodass Dorfbewohner als Riesen oder Zwerge erscheinen, Gastfreundschaft und sinnliche Genüsse nicht mehr als glücklich machende Geschenke, sondern nur noch als hinderlich wahrgenommen werden? Und die Klischeebilder des alten Russland als Sehnsucht nach einem "Davor".  Vor dem Schneesturm? Vor der Epidemie? Vor dem Virus?

Die Vorstellungen am 27., 30. und 31. Oktober mussten leider abgesagt werden. 

Foto: Jochen Klenk

 

Kulturkanal am 26.10.2020
    
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