Das Virus ihres Unglücks: Tschechows "3 Schwestern"

Das Virus ihres Unglücks: Tschechows "3 Schwestern"

von Isabella Kreim

 

Während der eineinhalbstündigen Aufführung von Anton Tschechows "Drei Schwestern" - länger darf sie nicht dauern – kann man (überrascht? staunend?) erleben, wie man in einem 120 Jahre alten Stück die Gegenwart, unsere Lockdown-Erfahrungen der letzten Monate wiederfinden kann. Und die allgemeine, existenzielle Frage: Wie finde ich meinen Platz, meinen Sinn im Leben. In der Arbeit? In der Liebe? Tschechow lässt seine Figuren allerdings weder im Beruf noch in den Beziehungen Lebensglück finden.

Die Inszenierung von Christoph Mehler findet ein konsequentes Bild für eine Gesellschaft in Schockstarre in der Vorahnung einer großen Krise, von irreversiblen Veränderung bisheriger Normalitäten.
Ja, dies ist eine Inszenierung, die sich penibel an die Abstandsregeln der Hygienevorschriften hält, ohne die derzeit nicht Theater gespielt werden dürfte.
Aber diese Aufführung ist alles andere als eine Coronabedingte Notlösung. Was Regisseur Christoph Mehler mit seinem Ingolstädter Ensemble nach der Probenunterbrechung auf die Bühne gebracht hat, wirkt wie eine originäre Regiekonzeption, die die Isolation dieser Figuren, ihre zum Scheitern verurteilte Sehnsucht nach einem anderen Leben und nach Intimität radikal visualisiert.
Und ihre Sehnsucht, aus der provinziellen Beschränkung ausbrechen zu wollen, ihr Zurück „nach Moskau“ klingt wie: zurück zur Vor-Corona-Zeit. Mit all der Hoffnungslosigkeit, die dieses Wunschdenken beinhaltet. Das Virus ihres Unglücks ist unsichtbar, und es verschwindet nicht.

Foto: Ludwig Olah

 

Kulturkanal am 25.06.2020
    
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