Fleißers "Der starke Stamm" im Residenztheater München

Fleißers "Der starke Stamm" im Residenztheater München

von Isabella Kreim

Julia Hölscher, seit dieser Spielzeit Hausregisseurin am Münchner Residenztheater, hat dort Marieluise Fleißers Volksstück „Der starke Stamm“ inszeniert. Gestern war Premiere. Diese zeitlos schlichte Inszenierung kam beim Publikum offensichtlich recht gut an.
Eine überdimensional portalhohes Scheunentor, das von den Figuren nur mit körperlicher Kraftanstrengung aufzuschieben ist, schließt diese Familie von der Außenwelt ab. Ländliche Anmutung und Festungsmentalität. „Schanzer“ nennen sich die Bewohner der ehemaligen Festungsstadt Ingolstadt noch heute. Bei der Beerdigung der Sattlermeisters-Gattin und auch später, wenn Balbinas Geschäfte immer mühsamer werden, fällt strömender Regen mit bis in die ersten Parkettreihen spürbarer Kälte.
Die Ausstattung von Paul Zoller visualisiert: Diese Menschen haben es nicht leicht. Schwer müssen sie rackern, um ihr finanzielles Überleben oder gar den Kleinbürgertraum vom sozialen Aufstieg zu schaffen. Und da bei einer Dienstmagd oder einer nicht mehr ganz jungen Witwe auch die Partnersuche von finanziellen Interessen geprägt ist, sieht es auch mit der Liebe schlecht aus.
Marieluise Fleißer legt in ihrem bereits 1945 begonnen „Volksstück“ mit bitterem Humor die Abwärtsspirale bloß, wie unter diesem Zwang der wirtschafltichen Interessen Neid, Hass, Missgunst und Eigennutz die verwandschaftlichen Beziehungen zerstören.

Regisseurin Julia Hölscher verlässt sich auf das wuchtige Setting ihres Ausstatters, die stringente Abwärtsdynamik der Handlung und die Kraft von Fleißers Sprache.
Fast archaisch schlicht  als wären wir in einer antiken Familientragödie und das Scheunentor der Palast zu Theben, agieren die Figuren relativ statuarisch und über große Distanzen auf der Vorbühnenschräge.
Aller naturalistischer Firlefanz, aber auch aktualisierende Schärfung oder gar multimediale Zusätze bleiben ausgespart. Auch die Kostüme von Meentje Nielsen lassen keine zeitliche Verortung zu. Das gibt der Aufführung etwas eigentlich ganz wohltuend Altmodisches und Zeitloses  und hievt das „Volksstück“ der Fleißer selbstverständlich auch ganz weit weg von jeder Bauernschwank-Attitüde, macht es aber auch schwer, unsere heutige „Geiz ist geil“-Mentalität, unsere Rücksichtslosigkeiten und Egotrips in diesen Figuren wiederzuerkennen.
Und dieser Verzicht auf realistischere Situationen, auf Tisch oder Stuhl, auf ein differenzierteres Beziehungsspiel, verlangt von den Darstellern eine große Intensität und Prägnanz.
Die existenzielle Not, mit der diese Figuren agieren, bleibt manchmal, auch im katastrophal bitteren Schluss zu verhalten, zu lauwarm temperiert. Die unterschwelligen Konfrontationen, Fleißers lakonische verbale Hammerschläge hätte man sich härter gewünscht.

Wir haben mit Regisseurin Julia Hölscher gesprochen. 

Foto: Sandra Then

Kulturkanal am 24.01.2020
    
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